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Wie viel Wandel braucht die Beständigkeit?

 

Foto von Damien Dan auf Unsplash

 
 

Beständigkeit – gleichbleibendes Verhalten, Zuverlässigkeit, Konstanz. Klingt nach gut geölter Maschine und wenig Veränderung. Flapsig gesagt, könnte man sogar von „verstaubt“ sprechen. Oder klingt es vielmehr nach einer großen Aufgabe, die Organisationen vollbringen – gerade in einer Welt, wo sich die Rahmenbedingen ständig verändern? Denn wer würde schon wollen, dass die Lieblingsschokolade ständig anders schmeckt? Wie gelingt Organisationen also Beständigkeit? Und wie viel Veränderung braucht es hierfür? 

Zwischen Bewahren und Verändern

Vor dem Hintergrund dieser Frage kann man mit einer auf den ersten Blick überraschenden Definition starten – und zwar der des Denkmalschutzes:  

Etwas freier formuliert, dient der Denkmalschutz der langfristigen Sicherung und Erhaltung von Kulturdenkmälern. Es ist der Schutz vor Zerstörung und Veränderung, um ihr kulturelles und historisches Erbe zu bewahren.  

Also lieber keine Veränderung? Denn schließlich wollen auch Organisationen Bestand haben und sich erhalten.  

Und manchmal wirkt es tatsächlich so, als seien bestimmte Praktiken, Produkte oder Geschichten in Organisationen unter einem unausgesprochenen Schutz gestellt: 
„Das haben wir schon immer so gemacht.“ oder „Never change a running team.“ sind dann nur einige der Floskeln.  

Und auch Organisationen haben ihr eigenes „kulturelles Erbe“:  Geschichten, die immer wieder erzählt werden und die die Identität bilden. Ebenso wie Produkte, Marken, manchmal auch Personen oder Entscheidungen – und die Muster, die sich daraus über Jahre gebildet haben. Besonders sichtbar wird das in Unternehmen mit langer Historie, starken Marken oder Familienunternehmen, die oftmals beides verbinden.  

Julia Winkler, die gemeinsam mit ihren Geschwistern in vierter Generation das Unternehmen hitschies führt, hat kürzlich auf LinkedIn über diese Spannung gesprochen:  

„Unsere Historie gibt uns Wurzeln und Orientierung, aber Veränderung sorgt dafür, dass wir weiter wachsen. Es geht nicht darum, das Alte zu vergessen, sondern es in etwas Neues zu verwandeln oder das Potenzial zu steigern. Entwicklung bedeutet nicht, sich von der eigenen Geschichte zu entfernen, sondern sie weiterzuschreiben.“ 

Organisationen brauchen Stabilität – aber keine Erstarrung 

Anders als Denkmäler sind Organisationen lebendige, soziale Systeme. Aus systemischer Sicht bestehen sie aus Kommunikation – genauer: aus den Informationen, Mitteilungen und dem Verstehen, die fortlaufend Entscheidungen erzeugen. Und im Gegensatz zu Denkmälern sind Organisationen auf ihre Umwelt angewiesen. Sie müssen (re)agieren, lernen und sich anpassen.  

Die Kommunikation über Beständigkeit und Veränderung bekommt deshalb eine zentrale Bedeutung. Denn wie oder wonach wird entschieden, ob eine Anpassung notwendig ist oder wie man mit neuen Entwicklungen umgeht?  

Vor jeder dieser Entscheidung steht zunächst eine (mitgeteilte) Wahrnehmung der Umwelt:  Mitarbeitende beobachten etwas, bewerten es und entscheiden, ob und wie sie diese Beobachtung mitteilen. 

Doch genau hier wird es spannend:  
Welche Wahrnehmungen gelten als „erwünscht“? Welche dürfen ausgesprochen werden – und welche besser nicht? 

Wenn Beständigkeit bedeutet, dass nur eine bestimmte Sichtweise „richtig“ ist („Der Trend kommt nicht“ oder „das muss so bleiben, sonst sind wir nicht mehr verlässlich“), werden Teile der Umwelt ausgeblendet und Entscheidungsmöglichkeiten werden enger. Alte Geschichten leben zwar weiter, aber sie verhärten Muster. Veränderungen werden schwer bis unmöglich – und damit gefährlich.  

Genauso riskant ist jedoch das andere Extrem: Wenn jede Irritation sofort zu hektischem Aktionismus führt, entsteht Orientierungslosigkeit. Auch das gefährdet Stabilität und letztlich Zuverlässigkeit und Konstanz.

Beständigkeit und Wandel gehören zusammen 

Es braucht also einen differenzierten Blick: 
Wo genau braucht es Veränderungen – und wo Beständigkeit, damit die Organisation weiter bestehen kann? 

Hieran wird deutlich, dass eine Gegenüberstellung der beiden Polaritäten nicht zielführend ist, da beides seine Berechtigung und einen Wert hat.  

Klaus Eidenschink spricht in der Metatheorie der Veränderung von dem Wert, wenn diese zwei Sub-systeme - das veränderungsorientierte und das stabilitätsaffine – neugierig aufeinander zugehen und ein produktiver Dialog entsteht: Was ist der Wert – der Nutzen - der jeweiligen Perspektive? Und dann zu entscheiden, was – angesichts der Umwelt, der Kultur und der Ziele – die bestmögliche Lösung für den Fortbestand der Organisation ist. 

Auch Wandel braucht Beständigkeit 

Jede Veränderung ist erst dann erfolgreich, wenn sie stabil wird. 
Wenn das „Neue“ zur Routine wird, wenn Menschen es verinnerlichen, wenn sich neue Muster bilden. Organisationen suchen also nach jeder Phase des Wandels wieder das Beständige. Stabilität ist kein Gegenspieler der Veränderung, sondern ihre notwendige Vollendung. 

Beständigkeit ist für Veränderung also nicht per se hinderlich, sondern sogar essenziell: Ohne sie lässt sich Neues gar nicht verankern. 

Wandel und Beständigkeit sind keine Gegner, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Organisationen benötigen beides. Entscheidend ist, wie darüber gesprochen wird. 

Denn, wie Fritz Simon es beschreibt „Die Nichtveränderung von Organisationen ist genauso wenig selbstverständlich, wie ihre Veränderung“.  

Beides sind aktive Entscheidungen – sie werden immer wieder neu verhandelt und weitergegeben. 

Und vielleicht ist die wichtigste Frage am Ende gar nicht: „Wie macht ihr das, dass ihr euch verändert?“  Sondern ebenso: „Wie macht ihr das, dass sich (vermeintlich) nichts verändert?“ 

 
Meike SchiffersWandel