200703_wertefabrik_header-3.jpg

Inspiration

Nur, wo Werte sind, kann Sinn entstehen

 
 

 

Blogbeiträge

Vertraust Du mir etwa nicht? Eine Formel für weniger Kontrolle und mehr Vertrauen

 

Foto von ricardo frantz auf Unsplash

 
 

Loslassen ist eine der schwierigsten Aufgaben im Berufsleben. Es bedeutet, Kontrolle abzugeben, Verantwortung zu teilen und darauf zu vertrauen, dass andere gute Entscheidungen treffen werden. Ob als Projektleiter, Teamkollege oder in der Zusammenarbeit mit Dienstleistern – überall stellt sich die Frage: Wie schaffen wir es, von übertriebener Kontrolle zu einer vertrauensvollen Arbeitsweise zu wechseln? Die Antwort liegt in einem bewussten Aufbau von Vertrauen – und zwar nicht als passives Warten, sondern als aktive Gestaltungsaufgabe. 

Vertrauen als Arbeitsgrundlage: Chancen und Risiken 

Vertrauen wird oft als Allheilmittel genannt, wenn es um moderne Arbeitskultur geht. Und tatsächlich ist es ein unverzichtbares Schmiermittel für funktionierende Teams und Projekte. Ohne Vertrauen stockt die Kommunikation, leiden Innovation und Agilität, und Menschen arbeiten ineffizient nebeneinanderher statt miteinander. 

Doch Vorsicht ist geboten: Vertrauen lässt sich nicht verordnen oder in Workshops "installieren" – es muss authentisch entstehen und gelebt werden. 

Die entscheidende Frage ist daher nicht, wie wir anderen mehr Vertrauen abringen können, sondern wie wir selbst vertrauenswürdig werden. 

Der Perspektivwechsel: Vom Fordern zum Gestalten 

Statt Vertrauen zu fordern und sich damit in eine passive Opfer-Rolle zu begeben ("Warum vertrauen mir meine Kollegen nicht?"), ist es deutlich hilfreicher, den Blickwinkel zu ändern. Die entscheidende Frage lautet: "Was tue ich dafür, dass andere mir vertrauen können?" 

Dieser Perspektivwechsel katapultiert uns aus der reaktiven Haltung hinein in eine aktive Gestalter-Rolle. Plötzlich haben wir wieder Handlungsmöglichkeiten und können konkret an den Faktoren arbeiten, die Vertrauen entstehen lassen. 

Die „Vertrauensformel“: Ein praktisches Modell 

Patrick Hoverstadt bietet eine hilfreiche Formel für das Verständnis von Vertrauen: 

Trust = (Credibility × Intimacy) / Risk 

Diese Gleichung zeigt uns drei konkrete Hebel, an denen wir arbeiten können: 

1. Intimacy: Nähe und Verletzlichkeit schaffen 

Der Faktor Intimacy geht nicht um private Geheimnisse, sondern um menschliche Nähe und die Bereitschaft, sich verletzlich zu zeigen. Amy Edmondson hat in ihrer Forschung zur psychologischen Sicherheit gezeigt, wie wichtig es ist, dass sich Menschen trauen, authentisch zu sein und auch Schwächen zu zeigen. 

Um diese Nähe und Offenheit zu schaffen, nutze ich gerne verschiedene Ansätze: 

Persönliche Check-ins: 

  • Was beschäftigt dich gerade außerhalb der Arbeit? 

  • Worauf bist du aktuell besonders stolz? 

  • Was war dein größter Lernmoment in den letzten Wochen? 

Verletzlichkeit zeigen: 

  • Bei welchem Thema fühlst du dich unsicher und könntest Unterstützung gebrauchen? 

  • Was ist ein Fehler, aus dem du viel gelernt hast? 

  • Wofür möchtest du dich beim Team bedanken? 

2. Credibility: Glaubwürdigkeit durch Integrität und Kompetenz 

Nähe allein reicht jedoch nicht aus. Stephen M. R. Covey definiert in "Speed of Trust" vier Kernelemente der Glaubwürdigkeit: 

  • Intention (Absichten): Welche Motive treiben mich an? Sind meine Absichten transparent und auf das Gemeinwohl ausgerichtet? Menschen spüren sehr genau, ob jemand primär eigene Interessen verfolgt oder tatsächlich das Beste für das Team oder Unternehmen im Sinn hat. 

  • Integrity (Integrität): Kann man sich auf mein Wort verlassen? Halte ich meine Versprechen? Bin ich in meinem Handeln konsistent und vorhersagbar? Integrität zeigt sich besonders in schwierigen Situationen, wenn Prinzipien auf die Probe gestellt werden. 

  • Capabilities (Fähigkeiten): Habe ich die nötigen Kompetenzen für die Aufgaben, die ich übernehme? Bin ich bereit, mich kontinuierlich weiterzuentwickeln? Kompetenz ist nicht statisch – sie muss ständig aktualisiert und erweitert werden. 

  • Results (Ergebnisse): Welche Erfolge kann ich vorweisen? Bringe ich die Dinge zu einem guten Abschluss? Ergebnisse sprechen eine klare Sprache und schaffen Vertrauen in zukünftige Leistungen. 

Hier wird deutlich: Haltung alleine reicht nicht aus – es braucht auch Leistung! Die beste Absicht nützt nichts, wenn die Umsetzung nicht stimmt. Umgekehrt können auch hervorragende Leistungen das Vertrauen untergraben, wenn die dahinterstehenden Motive fragwürdig sind. 

3. Risk: Den Kontext angemessen berücksichtigen 

Die Kontext-Komponente Risk wird häufig übersehen, ist aber entscheidend für das Vertrauen. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ich Kollegen in die Planung eines Teamevents einbeziehe oder in strategische Entscheidungen über ein wichtiges Kundenprojekt. 

Je größer die möglichen Konsequenzen einer Entscheidung, desto höher muss das Produkt aus Glaubwürdigkeit und Nähe sein, damit Menschen bereit sind, mir zu vertrauen. Wer neu in ein Team kommt, wird zunächst bei kleineren Aufgaben Vertrauen aufbauen müssen, bevor ihm größere Verantwortlichkeiten übertragen werden. 

Von Fail-Safe zu Safe-to-Fail: Risiken intelligent handhaben 

Statt zu versuchen, Fehler komplett zu vermeiden (was in komplexen Systemen unmöglich ist), sollten wir Experimente so gestalten, dass mögliche Misserfolge verkraftbar sind. 

Konkret bedeutet das, sich vorher Gedanken über eine Recovery-Strategie zu machen: 

  • Was wäre das größte Risiko bei diesem Vorhaben? 

  • Woran erkenne ich frühzeitig, dass etwas schiefläuft? 

  • Was tue ich konkret, falls dieser Fall eintritt? 

  • Wie kann ich die negativen Auswirkungen begrenzen? 

Diese Herangehensweise ermöglicht es, mutiger zu delegieren und mehr Verantwortung zu teilen, weil die Risiken kalkuliert und beherrschbar bleiben. 

Fazit: Vertrauen als berufliche Kompetenz entwickeln 

Je mehr wir uns darauf konzentrieren, selbst vertrauenswürdig zu werden, desto eher können wir anderen vertrauen. Und je mehr wir anderen vertrauen, desto mehr können wir loslassen. So entsteht ein positiver Kreislauf, der nicht nur die Arbeitseffektivität steigert, sondern auch zu mehr Zufriedenheit und Engagement führt.