Alles hat Grenzen. Auch Teamwork.
In jedem Team wird ausgehandelt, wer zum „Wir" dazugehört. Zusammenhalt bedeutet somit auch: Jemand gehört nicht dazu. Diese grundlegende Erkenntnis wird häufig übersehen. Wo ein "Wir" entsteht, gibt es zwangsläufig auch ein "Die" – jene, die nicht Teil des Teams sind. Die Teamgrenze markiert, wer dazugehört und wer nicht. Dabei ist sie keine statische Linie, sondern ein dynamischer Prozess, der kontinuierlich ausgehandelt wird.
Durch Inklusion werden andere ausgeschlossen, aber ohne Abgrenzung wird die Herausbildung einer Teamidentität erst ermöglicht. Er kann jedoch auch destruktiv werden, wenn er zur Abschottung führt. Besonders problematisch wird es, wenn Loyalität zum obersten Wert avanciert und kritisches Denken unterdrückt wird. Es entstehen Tabus und blinde Flecken. Das Team entwickelt eine Überheblichkeit gegenüber seiner Umwelt und verliert die Fähigkeit zur Selbstkritik.
Teams bearbeiten ständig Paradoxien
Soziale Systeme sind ständig mit solchen Paradoxien wie „inkludieren vs. exkludieren“ konfrontiert. Jede Entscheidung eliminiert eine sinnvolle Alternative. Teams können zum Beispiel nicht gleichzeitig:
Jeden beteiligen (Partizipation) und individuelle Ruhe zum Arbeiten sicherstellen (Abkapselung)
Konsens herstellen (Identifikation) und Konflikt fördern (De-Identifikation für Flexibilität)
Unterordnung unter Teamziele fordern und individuelle Kreativität fördern
Neue Ideen vorantreiben und Bewährtes erhalten
Diese Paradoxien sind unauflösbar. Es gibt keine perfekte Lösung, nur verschiedene Wege, mit den Spannungen umzugehen. Problematisch wird es, wenn Teams diese Paradoxien leugnen und an den Mythos glauben, es könne einen Zustand geben, in dem alle zufrieden sind. Daher ist es umso wichtiger, eine Kultur zu etablieren, die mit „Nein", unbefriedigten Bedürfnissen und Abgrenzung konstruktiv umgehen kann.
Zusammenhalt durch äußere Bedrohung
"Vielleicht braucht es eine große Bedrohung, damit wir zusammenhalten!" – solch eine Beobachtung ist so alt wie die Menschheit selbst. Externe Krisen schweißen Teams zusammen, schaffen eine gemeinsame Identität und mobilisieren Kräfte.
Dieses Phänomen birgt jedoch ebenfalls ein Paradox: Einerseits fördert externer Druck interne Solidarität. Andererseits kann er zur Konstruktion von Feindbildern führen, die den Blick verengen und Kommunikation blockieren. Ein Team, das sich primär über gemeinsame Gegner definiert, verliert oft die Verbindung zu seinen eigentlichen Aufgaben und verwickelt sich in Grabenkämpfe mit anderen Abteilungen.
In Organisationen zeigt sich dies häufig in der Rivalität: "Die von der IT verstehen uns nicht", "Das Marketing lebt in seiner eigenen Welt", "Die Geschäftsführung hat keine Ahnung von der Basis". Solche Muster mögen kurzfristig den internen Zusammenhalt stärken, langfristig untergraben sie jedoch die organisationale Leistungsfähigkeit.
Niklas Luhmann betont in seinem Werk „Vertrauen", dass Vertrauen und Zusammenhalt gerade in unsicheren Situationen wachsen können, aber nie voraussetzungslos sind:
„Man darf nicht unterstellen, dass Vertrauen im Lernprozess kontinuierlich wachsen und sich bruchlos auf immer wichtigere, folgenreichere Angelegenheiten ausdehnen kann." (N. Luhmann)
„Darf ich hier mitspielen?" – der besondere Zusammenhalt in Management-Teams
Besonders in Führungsteams zeigen sich die Herausforderungen der Grenzgestaltung: Wer darf in welche Entscheidungen einbezogen werden? Wie transparent kommuniziert man nach außen? Wie geht man mit Kritik von außen um? Verlieren wir Macht, wenn wir neue Mitglieder in unseren Kreis aufnehmen?
Gerade über die Aufnahme in exklusive Führungskreise wird daher so viel berichtet. Dort gibt es beispielsweise Aufnahmerituale für neue Teammitglieder, informelle Codes und Insider-Witze, ungeschriebene Regeln darüber, wer wann sprechen darf, und implizite Entscheidungsprozesse zur Einbeziehung.
Praktische Implikationen und Interventionen
Was können Führungskräfte und Teamcoaches tun, um mit den Licht- und Schattenseiten des Zusammenhalts konstruktiv umzugehen?
Reflexion der Teamgrenze:
Regelmäßig thematisieren, wie die Teamgrenze gezogen wird
Reflexionsfrage: Wann haben wir zuletzt darüber gesprochen, wen wir in wichtige Entscheidungsprozesse einbeziehen und wen nicht? Was waren die Kriterien dafür?
Bewusst machen, wer ein- und ausgeschlossen wird (und warum)
Reflexionsfrage: Welche Stakeholder außerhalb des Teams betrifft unsere aktuelle Entscheidung, ohne dass sie eine Stimme haben?
Rituale für Ein- und Austritte bewusst gestalten
Reflexionsfrage: Wie gestalten wir den Übergang für Teammitglieder, die gehen oder neu hinzukommen? Welche Bedeutung geben wir diesem Prozess?
Umgang mit Paradoxien:
Spannungsfelder explizit benennen, statt Harmonie vorzutäuschen
Reflexionsfrage: Welchen Widerspruch spüren wir gerade in unserem Team, den wir bisher nicht offen ansprechen?
Bewusstsein schaffen, dass jede Entscheidung auch Schattenseiten hat
Reflexionsfrage: Welcher Preis wird für unsere aktuelle Entscheidung gezahlt und von wem?
Perspektivwechsel ermöglichen, um die Grenzen des eigenen Denkens zu erkennen
Reflexionsfrage: Wenn jemand, der ganz anders denkt als wir, auf unser Team schauen würde – was würde diese Person als unsere größte Blindheit identifizieren?
Intervention bei problematischen Mustern:
Exklusion thematisieren, wenn sie destruktiv wird
Reflexionsfrage: Gibt es Personen in unserem Team, deren Potenzial wir nicht nutzen? Was würde passieren, wenn wir sie aktiv einbeziehen würden?
Bei Mobbing und innerer Kündigung nicht wegschauen
Reflexionsfrage: Welche unausgesprochenen Konflikte oder Unzufriedenheiten beobachten wir? Wie könnten wir einen sicheren Raum schaffen, um diese anzusprechen?
Verdeckte Konflikte ans Licht bringen
Reflexionsfrage: Welches Thema wird in unserem Team systematisch vermieden, obwohl alle wissen, dass es wichtig wäre?
Besonders wichtig ist die regelmäßige Reflexion auf Meta-Ebene: Wie viel Zusammenhalt brauchen wir für unsere aktuellen Aufgaben? Wann wird unser Zusammenhalt zur Gefahr für Innovation und kritisches Denken? In welchen Bereichen könnten wir offener und durchlässiger werden?
Fazit: Der schmale Grat des Zusammenhalts
Zusammenhalt ist für Teams essenziell. Er gibt Orientierung, schafft Vertrauen und ermöglicht koordiniertes Handeln. Zugleich ist er immer ambivalent. Er kann ausschließen, blind machen und zur Abschottung führen.
Ein gesunder Umgang mit Zusammenhalt erfordert daher ein Bewusstsein für seine Schattenseiten. Teams brauchen Grenzen – aber durchlässige. Sie brauchen Identität – aber ohne Überheblichkeit. Sie brauchen Loyalität – aber nicht um den Preis kritischen Denkens.
Die Kunst besteht darin, Teamgrenzen bewusst zu gestalten und die unvermeidlichen Paradoxien nicht zu leugnen, sondern produktiv zu nutzen. Nur so kann ein Team langfristig leistungsfähig bleiben und zugleich ein Ort sein, an dem Menschen gerne zusammenarbeiten.