Das Tetralemma
Ein moralisches Dilemma ist eine komplexe Angelegenheit. Denn eine Lösung ist nicht leicht zu finden – zwei Optionen, die sich im Grunde widersprechen. Die gute Nachricht ist, ein Dilemma ist nie wirklich ein Dilemma, bei dem es nur zwei sich ausschließende Perspektiven gibt, von denen man sich für eine entscheiden muss. Doch das lässt sich so leicht sagen. Aber wie entkommt man dieser perspektivischen Sackgasse?
Eine wertvolle, schnelle und zugleich effiziente Methode ist „Das Tetralemma“. Diese Methode, nach Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer, bietet eine Entscheidungsunterstützung. Die Entscheidungsoptionen werden „aufgestellt“, d. h. die Entscheidung wird bspw. mit Moderationskarten im Raum visualisierbar gemacht. Das Tetralemma kann bei jeder Form eines Dilemmas bzw. Unentschiedenheit eingesetzt werden. Besonders lohnenswert ist es bei kniffligen Entscheidungen, die bereits mehrfach besprochen wurden und dennoch ohne Lösungen sind.
Ziel des Tetralemmas
Ziel der Methode ist es, eine neue Perspektive einzunehmen: weg von der rein mentalen, rationalen hin zu einer persönlicheren Entscheidungsperspektive mit Fokus auf das Körperfühl. Der Anspruch, jede Entscheidung rational zu betrachten und fällen zu können, kann in vielen Situationen zur Lösung führen. Manchmal sehen wir jedoch den Wald vor lauter Bäumen nicht bzw. die Lösung vor lauter Alternativen nicht. Hier kann das Körpergefühl ein Anker in der rationalen Unentschiedenheit sein. Denn der Körper sendet sehr klare Signale somatische Marker/Affekte genannt, welche Optionen wir wie bewerten. Somit ist unser Körpergefühl ein Messinstrument für unsere Bewertungen. Spüren wir ehrlich in unseren Körper hinein, erhalten wir äußerst klare Hinweise, welche Richtung wir präferieren. Eine Anspannung (unbehagliches Gefühl) zeigt auf, dass die erwartete Situation der Option und unsere Motive/Bedürfnisse wenig bzw. nicht übereinstimmen.
Die Positionen
Idealerweise sind zwei Personen beteiligt: Eine Person hat das Entscheidungsproblem und die andere Person beobachtet genau und stellt Fragen. Die Fragen dienen dazu, einen Zugang zu den eigenen Körperempfindungen/Impulsen zu bekommen und so herauszufinden, wie gut bzw. weniger gut sich eine Option anfühlt. Es gibt 5 Variationsmöglichkeiten oder auch Positionen der möglichen Optionen.
1. „Das Eine“ & 2. „Das Andere“
Diese Positionen greifen beide Kernoptionen (aus dem das Dilemma entsteht), d. h. die Pole zwischen denen die Person pendelt, auf. Sie werden benannt und getrennt voneinander bzw. als zwei Varianten des Tetralemmas behandelt. Wichtig ist, dass diese bewusst und klar benannt werden können, bevor die körperliche Empfindung abgefragt wird und die nächsten Schritte erfolgen.
3. „Beides“
Diese Variation kann im ersten Moment irritierend sein. Wichtig ist es, sich dann von der Frage zu lösen , wie beides gehen soll,sondern sich darauf zu konzentrieren, einfach nur nachzuspüren undnicht nachzudenken. Wie das gelingt, kann im Anschluss besprochen werden.
4. „Keines von beidem“
Diese Position ist recht selbsterklärend: keine der Optionen wird gewählt. Denn es ist auch in Ordnung, keine Entscheidung zu treffen! Wichtig ist nur, sich über die Hintergründe bewusst zu sein.
5. „Dies nicht und auch das nicht“
Diese Position ist losgelöst und außerhalb des Entscheidungsraums – eine Art Außenposition. Hier ist – und soll – alles möglich sein. Denn manchmal liegt die Lösung in einer ganz anderen „alternativen Ecke“, die bislang nicht in Sicht war. Gestatte deiner Fantasie freien Lauf und denke das Unmögliche. Tauche hinein und beobachte, was geschieht.
Das Vorgehen
Die 5 Positionen werden nach folgendem Vorgehen ausgelegt und abgegangen:
1. Definition der 5 Variationsmöglichkeiten:
Die 5 Positionen werden definiert und auf Karten notiert. Die Karten werden dann über Kreuz auf den Boden gelegt, in einer Entfernung von etwa eineinhalb Metern zueinander. Achte besonders darauf, dass du Position 1 und 2 konkret formulierst.
2. Abfrage körperlicher Empfindungen für jede Variationsmöglichkeit:
Kern der Methode ist es, sich Schritt für Schritt AUF die einzelnen Karten zu stellen (nicht daneben oder darüber). Nimm dafür eine entspannte, lockere Haltung ein, die Arme seitlich hängend.
Sage dir die Variationsmöglichkeit laut auf, auf der du gerade stehst. Spüre in deinen Körper hinein. Nimm dir dafür einen Moment. Konzentriere dich ganz auf dich und dein Körperempfinden. Schaue dabei auf das Kreuz oder schließe die Augen. Die andere Person konzentriert sich auf deine Reaktionen: Körperhaltung? Wie stehen die Füße? Was passiert mit der Atmung, der Mimik? Gibt es irgendwelche Bewegungen?
Benenne dein Körperempfinden laut – und schließe alle körperlichen Empfindungen mit ein. Es geht nicht darum, was du denkst, sondern was du spürst.
3. Reflektion & Auswertung der Empfindungen:
Beide Personen haben alle Körperempfindungen gehört und beschrieben, wie sich welche Positionen angefühlt hat. Reflektiert nun gemeinsam, um das Erlebte/ noch einmal zu konkretisieren.
Zum Schluss die wichtigste aller Fragen: Was sagt dieses Ergebnis eigentlich dir selbst? Wie deutest du es?